Das stolze Gänseblümchen

Der Tag brach an. Die Sonne ging auf und warf ihre sanften Strahlen durch die Baumkronen auf die Wiese. Noch war das Licht nicht hell, doch die ersten Vögel stimmten ihre Lieder an. Nun begann auch die restliche Welt zu erwachen. Eine Maus streckte ihren Kopf aus dem Loch, ein Eichhörnchen huschte über einen Baum, dass die Blätter nur so raschelten. Es versprach ein sonniger Tag zu werden, denn es war kein Wölkchen am Himmel zu sehen und es war schon jetzt warm. Eine Eidechse sonnte sich auf einem Stein und ein Hase hoppelte über die Wiese. Das Gras wogte leise in der sanften Brise und die Blätter wisperten.
Doch in der Mitte der Wiese, da stand ein Gänseblümchen. Seine Blüten strahlten in einem klaren Weiß und das Grün seiner Blätter war saftig. Es war wunderschön. Noch viel schöner als all die anderen Dinge auf der Wiese. Ja, sogar noch viel schöner als all die anderen Blumen. Und darauf war das Gänseblümchen stolz. Noch viel stolzer war es darauf, dass alle anderen Gänseblümchen zu ihm aufschauten. Sie bewunderten, wie es in der Sonne strahlte und wie schön es war.
Der Tag wurde älter und die anderen Blumen immer neidischer. Sie waren geblendet von der Schönheit des Gänseblümchens und vergaßen, auf ihre eigene Schönheit zu achten. Die Sonne stand gerade im Zenit, da starb das Veilchen, denn es hatte vor lauter Bewunderung vergessen, das Wasser aus dem Boden aufzunehmen. Das Gänseblümchen sah hinab auf das Veilchen, doch war es nicht traurig, denn nun hatte es mehr Wasser zur Verfügung und seine Blätter wurden noch saftiger.
Die anderen Blumen bewunderten es dafür noch mehr und versuchten seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies genoss das Gänseblümchen und wurde schnell zu einer Berühmtheit. Weitere Blumen starben unter der Sonne, doch das Gänseblümchen wurde immer schöner. In seinem Stolz wurde es überheblich und so kam es, dass es glaubte, über jedem und allem zu stehen.
Am Nachmittag zogen Wolken über den Himmel. Die Sonne versteckte sich hinter einer Wolke, die so schwarz war, dass die Wiese vor Angst erzitterte. Die Vögel verstummten, die Maus flüchtete in ihr Loch und das Eichhörnchen in seinen Hobel. Die Eidechse verschwand unter dem Stein und der Hase in seinem Bau. Das Gras bog sich im Wind und die Blätter rauschten.
In der Mitte der Wiese, da stand noch immer das Gänseblümchen. Es blieb stehen, wie es war und die anderen Blumen wollten ihm in nichts nachstehen. Um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, blieben auch sie stehen und reckten weiter ihre Blüten gen Himmel.
Da begann der Regen und mit ihm der Sturm. Er peitschte über die Wiese, dass die Bäume sich bogen und Blätter umher wirbelten. Der Regen prasselte so laut, dass der Donner fast nicht zu hören war. Ihm folgte auf den Moment ein heller Blitz, dass es kurz wieder Tag wurde, wie zuvor. So wütete das Wetter viele Minuten, bis es weitergezogen war.
Als die Sonne wieder hervorkam und ihre zögerlichen Strahlen die Wiese erreichten, stand dort nur noch das Gänseblümchen. Ihm fehlten Blütenblätter und die Farben waren blass und krank. Es war hässlich.
Nicht viel später ging die Sonne unter und die Wiese verschwand in der Stille der Nacht.